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1. unter uns
ich bin eine gruppe von tankstellenkellnerinnen, die ins rotlichtmilleu eingeheiratet haben und deswegen diesen teil unserer zeit unter der erde unter uns im bunker verbringen müssen.
wir sind sehr gelöst. wir sind gerade noch in der straßenbahn gestanden und haben versucht, einen fahrschein abzustempeln und haben dann auf einmal bemerkt, dass wir nicht mehr wissen, wo wir hinwollten. dann waren wir hier. über uns scheint etwas zusammengebrochen zu sein, sonst wären wir nicht unter uns. das heißt: unter der erde, im bunker.
natürlich ist der bunker eine erfindung, aber das heißt nicht, dass er keine wirkung hat. wir erinnern uns, dass das wir ähnliche gedanken schon mal hatten, bevor wir eingestiegen sind. einige von uns haben mittlerweile neben ihrer arbeit unter der erde eine umschulung gemacht, um die zeit besser nutzen zu können und einen ausgleich zu schaffen.
wir sind etwas. verwirrt. wir sind etwas, was wir gelernt haben, von außen betrachten zu können, weil außen kameras installiert sind, für den fall dass wir abhauen, ohne uns ausweisen zu können.
dieses etwas, was wir durch die kameras betrachtet haben, wie es sich bewegt hat und dabei versucht hat, möglichst unauffällig zu sein, ist zusammengebrochen. wenn wir sagen, dass etwas zusammengebrochen zu sein scheint, scheinen wir alle zu verstehen, wovon wir sprechen.
wovon wir sprechen, ist die außenwelt, wo sich etwas zusammengebraut zu haben scheint, das sich entladen hat, in einer art explosion, vielleicht eine katastrophe, etwas sehr abstraktes, das wir als erstes verstehen müssen, wenn wir irgendwann wieder rauskommen wollen. das ist bei allen gemeinschaften so: familien, szenen, institutionen, nationen, unternehmen, selbsthilfegruppen undsoweiter. wir haben manchmal das gefühl, wir wollen einfach nur raus, und wir wissen aber nicht wie.
um rauszukommen, müssen wir erst verstehen, was es ist und wie es funktioniert. dieser bunker ist eine zufälige erfindung von leuten, die mit unserer angst ein geschäft machen wollten.
aber das ist bei allen anderen gemeinschaften auch so. wir reden deswegen von diesem bunker und meinen damit vielleicht auch alle anderen gemeinschaften die denen, die drinnen sind, nicht genug luft zum atmen geben, oder nicht genug zeit um zum denken, oder nicht genug perspektiven, aber nicht perspektiven um weiterzukommen und karriere zu machen, sondern perspektiven um alles anders zu sehen. auch sich selbst und dann jemand anderer zu sein. dafür braucht man aber raum. und die ist in diesem bunker nicht automatisch gegeben. die muss ich mir nehmen. ich habe mir vielleicht gerade eine neue perspektive verschafft indem ich ICH gesagt habe, aber gleichzeitig habe ich schon wieder sehnsucht, danach WIR zu sagen – ich weiß nur nicht mehr, was ich meine, wenn ich WIR sage.
ich müsste mich unter uns schon wieder auf irgendetwas gemeinsames berufen, und dieses gemeinsame ist aber in diesem BUNKER, indem wir uns zusammenfinden, nur, dass wir gemeinsam in diesem bunker sind, der eine erfindung ist.
der bunker hat eine bühne, aber das heißt nicht automatisch, dass wir animateure sind. später wird es einen spieleabend geben.
der bunker ist der urlaub den wir ausgewählt haben von dem leben das wir vorher geführt haben. wenn wir ehrlich sind haben wir uns diesen bunker ausgesucht und wir haben uns dafür entschieden solange hier unter uns zu bleiben bis wir das andere leben so gut verstehen dass wir es nicht mehr führen müssen, das könnte das angenehme an diesem zustand im bunker sein, an diesem leben: dass wir es nicht führen müssen, es geht von alleine weiter, und es verändert sich auch von alleine, die bilder die auftauchen verändern sich von selbst, jetzt gerade sind es sehr dunkle bilder von vögeln die gegen fensterscheiben krachen, hinter denen zwei oder drei hauptfiguren gerade sex haben, eine davon ist jemand den wir aus dem realen leben kennen, den wir aber immer mit uns selbst verwechseln, das andere ist jemand den wir nicht kennen, dann ist das bild schon wieder vorbei und wir wachen auf und stehen auf der bühne und sprechen einen text, von dem wir nicht wissen, wann er zu ende ist und vor uns steht eine gruppe von urlauber innen die eine spezielle art von urlaub gebucht hat: unter der erde, ohne attraktionen, gesprächsstoff oder strand, nur dunkelheit, die sich verändert.
es hat nichts mit erweitertem bewusstsein zu tun, es hat mit wänden zu tun, die sich ausdehnen, wenn sie eine bestimmte körpertemperatur erreicht haben, wenn sie diese gewisse temperatur erreicht haben, meine damen und herren, hören sie auf, sich irgendetwas anderes von der animateuerin zu erwarten, die vor ihnen steht, als dass sie nicht damit aufhört, sie anzuschauen, sie hören dann auf, nach weiteren informationen zu suchen und sich einen touristischen plan auszuarbeiten im kopf, weil sie dann das gefühl kriegen, das ist ja eigentlich das, was sie sowieso das restliche leben lang tun und was sie irgendwann auch wieder tun werden, wenn sie rauskommen: möglichst viel von dem breiten angebot mitnehmen, und wenn das angebot nicht breit genug ist, einen streit vom zaun brechen oder sich selbst in verzicht üben, sich einfach hinlegen und dann wieder aufstellen, nur ein bisschen breiter als vorher, sie wissen, dass sie da draußen breit aufgestellt sein müssen um möglichst viel mitnehmen zu können und sie könnten es in ordnung finden, vom bunker möglichst gar nichts mitnehmen zu müssen, sie haben schon genug, und vielleicht ist der bunker der einzige ort, den sie nicht verstehen müssen, das könnte schön sein. wir bleiben, auch wenn wir uns verloren haben, bei der idee, dass es urlaub sein könnte, wenn wir uns drüber einig wären. der beste urlaub ist der urlaub der die ganze zeit seine eigenen grenzen verändert, so dass wir nicht mehr wissen, was eigentlich nicht urlaub ist, es könnte im richtigen urlaub alles kontext sein, der bunker verändert sich die ganze zeit, deswegen sind wir immer noch da: über uns scheint etwas gesagt worden zu sein, was uns hier her gebracht hat, über uns scheint es eine erzählung zu geben, die uns zu bunker insassen macht: urlauberinnen, die sich erholen wollten und dann, als teil einer reisegruppe, die gar nicht gewusst hat, dass sie eine reisegruppe ist, in einem bunker gelandet sind, der ihnen nicht genau sagt, was es ist, was über uns zusammengebrochen ist, der gar nichts über uns sagt. dann beginnen wir uns zu fragen, ob der urlaub eine von diesen nischen ist, in denen wir manchmal sind, und die dafür sorgen, dass das was über uns ist, über uns gesagt und gebaut und entschieden wird, weiter gehen kann, urlaube und bunker sind kleine nischen in denen die allgemeinen spielregeln außer kraft gesetzt sind, wie sex, kunst, witze, freundschaften, kommunen am land, halloween. der zugang zu diesen nischen ist geregelt, es kann sich nicht jeder einen platz in diesem bunker buchen, aber jeder will es, weil jeder manchmal das gefühl hat, dass er oder sie einfach raus will, und wenn er dann wieder zurück ist, hat er neue energie, um wieder zu funktionieren. davon können wir ausgehen. sie können davon ausgehen, dass dieser bunker uns keine neue energie geben wird, um zu funktionieren. wir können davon ausgehen, dass er uns nicht erbauen wird. er ist nicht das wahre, gute und schöne. er ist auch nicht stabil. das ist der unterschied zu den anderen nischen. wenn wir davon ausgehen, wissen wir nicht, ob der bunker noch da ist, wenn wir zurück kommen, oder ob da, wo vorher der bunker war, nicht irgendwann ein büro ist, in dem wir dann zu arbeiten anfangen, und die erzählung produzieren, die daran schuld ist, dass wir alle sofort bereit sind, einen platz in einem bunker zu buchen, weil die katastrophe vollkommen sicher ist, wenn wir dieses leben so weiterführen, wie wir es führen. irgendjemand muss das leben immer irgendwohin führen.
dafür gibt es extra lebensführer und wenn das leben eine reise ist sind es reiseführer.
der bunker ist ein reisebüro und trotzdem ist immer noch alles anders als es am anfang war: ist es jetzt eine nische oder ist es ein vollkommen anderer planet: sind wir hierher geflüchtet oder verstecken wir uns hier oder haben wir das andere leben noch in uns drin?
das ist schon wieder so eine komplizierte frage, die in meinem körper auftaucht, wenn ich im bett liege mit einer anderen person, und es ist laut und die anderen zuschauer innen stehen schon an der bar und schlürfen sangria und tauschen ihre erlebnisse aus und ich bin mir nicht sicher ob das noch der selbe körper ist wie der mit dem ich mich bewegt habe, als ich mich entschieden habe, in den bunker zu gehen, ob das noch die selbe hand ist, mit der ich über die haut von meiner urlaubsbekanntschaft streiche, mit der ich auch meinen fahrschein abgestempelt habe, oder ob ich vielleicht immer noch vor dem fahrschein-automaten stehe.